Osterkerze 2012

„Unsere Verantwortung für den Nächsten“

Das ist unser Jahresthema. Und - wie schon in den letzten Jahren -  sollte dieses Thema einen Niederschlag in der Osterkerze finden, die ich auch in diesem Jahr wieder gestalten durfte.

Wenn das Jahresthema bekannt wird, fängt deshalb für mich und meine Familie ein schwangerschaftsähnlicher Prozess an.

Viele Gedanken gehen mir dann durch den Kopf und wollen mit andern besprochen werden, damit zum Schluss eine Osterkerze entstehen kann:

Was soll dargestellt werden?
Wie soll es dargestellt werden?
Was lässt die Form der Kerze und die Technik zu?

Im Jahresthema stecken zwei Reizwörter: Verantwortung und Nächster.Beim Wort Nächster denkt man sofort an eine biblische Szene:

Ein Schriftgelehrter fragt Jesus: Wer ist mein Nächster? Und Jesus antwortet mit einem Gleichnis: Er erzählt die Geschichte vom barmherzigen Samariter.Diese Geschichte ist schon oft dargestellt worden und ist aus dem reichen Schatz der Darstellung biblischen Geschichten nicht wegzudenken. Jedoch als Motiv für die Osterkerze fehlten mir die direkten österlichen Aspekte.

Sie gab aber einen Impuls in eine andere Richtung: Barmherzigkeit – Die sieben Werke der Barmherzigkeit.
Woher kommt denn diese Tradition?

Es gibt dazu eine Bibelstelle aus dem 25. Kapitel des Matthäus – Evangeliums in den sogenannten Gerichtsreden.
Jesus beschreibt in einem Bild das Ende der Zeit, und eine Trennung von Gut und Böse, Schafen und Böcken.Als Merkmal für die „Gerechten“ nennt Jesus dabei die Werke der Barmherzigkeit:

„Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben;
ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben;
ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben;
ich war krank und ihr habt mich besucht;
ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen."

Auf die Frage, wann das alles geschehen sein soll, antwortet er:„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."
Die einzelnen Bildelemente der Osterkerze haben jeweils einen Bezug zu diesen „Werken der Barmherzigkeit“, die in der zitierten Bibelstelle auftauchen.

„Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben":

Ein großer Suppentopf steht neben einem Teller mit einem Löffel. Der Löffel liegt auf einer Serviette.
Es geht nicht nur um das Füllen des Magens, es geht um Stillen des Hungers in Würde. Mir fiel dazu ein, dass in einem Roman von Alexander Solschenizyn eine Szene beschrieben wird, wo in einem Straflager ein langjähriger Gefangener, der täglich nur einen Teller wässrige Kohlsuppe und ein Stück Brot zu essen hat, sein Brot nie direkt auf den Tisch legt, sondern auf einen Lappen, den er pflegt.
Es ist nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern hat mit Menschenwürde zu tun.
Der Suppentopf steht aber auch für das Fastensuppenessen unter dem Motto „Löffeln für Mexiko“, das unser Eine- Welt- Kreis jedes Jahr durchführt.

„Ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben":

Ein Krug und ein Becher. Keine edlen Gefäße, wahrscheinlich enthält der Krug nur frisches Wasser. Wasser ist ein Lebensmittel, mit dem wir oft nachlässig umgehen. Wir haben es ja in Fülle. Zukunftsforscher sagen voraus, dass es um diese Ressource in Zukunft große Konflikte geben wird. Denn ohne Wasser ist kein Leben möglich.

„Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen": 

Ein Koffer steht in der offenen Tür. Kein schicker Hartschalenkoffer oder Trolley. Ein Koffer, der bestimmt eine lange Geschichte erlebt hat. An ihm hängen ein Paar schwere Schuhe, die auch schon bessere Tage gesehen haben.
Fremde sind Menschen, die oft einen weiten Weg gegangen sind. Dabei ist es gleichgültig, ob dieser Fremde aus einem anderen Erdteil stammt oder in unserer Straße wohnt.
Oft reagieren wir ängstlich auf Fremdes, verschließen uns. Deshalb hängt über dem Koffer auch ein Schlüsselring. Er hat Aufforderungscharakter.

„Ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben":

Ein Hemd hängt an einer Umkleidekabine. Ein weißes Hemd. Ein weißes „Kleid“ – neu und frisch. Ob die Farbe weiß eher an die Taufe oder die Erstkommunion erinnert, bleibt dem Betrachter überlassen. Vielleicht ist es aber auch nur einfach sauber und festlich.

„Ich war krank und ihr habt mich besucht":

Was braucht ein Kranker?

Natürlich Hilfe zur Heilung. Deshalb steht da ein Medizinfläschchen und eine Rolle Verbandsmaterial. Aber zu einem Krankenbesuch kann man noch etwas viel wichtigeres Mitbringen: Zeit. Deshalb ist der Zeitmesser, die Sanduhr, auf der Seite liegend. Wie viel Zeit vergeht, ist jetzt nicht so wichtig. Jetzt wird Zeit benötigt, um zu verstehen und gesund zu  werden.

„Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen":

In der Gefängnistür hängen Fesseln. Sie sind nicht offen. Dazu haben wir nicht immer die Kraft und die Möglichkeit. Aber in den Fesseln steckt ein Strauß mit Vergissmeinnicht. Menschen die sich für Verfolgte einsetzen, können oft nicht die Fesseln lösen, aber sie appellieren  an die Weltöffentlichkeit: Vergesst nicht diese Menschen! Schon das alleine kann Verhältnisse ändern.

Wenn Sie jetzt mitgezählt haben, werden Sie feststellen, dass hier sechs Werke der Barmherzigkeit aufgezählt wurden. In der Tradition spricht man aber von sieben Werken.

Was fehlt?
Das siebte Werk der Barmherzigkeit fordert uns auf, Tote zu begraben.

Und diese Aufforderung führt uns zurück zur Vorderseite. Durch eine große, offene Tür sehen wir das Kreuz und eine offene Grabeshöhle. Im Gegensatz dazu stehen drei andere Türen auf der Osterkerze: Gefängnistür, Stadttor und Vorhangtür sind geschlossen.

Unser Jahresthema fordert uns im übertragenen  Sinn dazu auf, noch viele Türen zu öffnen. Die offene Tür ist aber nicht die Tür, die auf einen Friedhof, sondern eine Tür, die direkt nach Ostern und ins Leben führt:
Am Kreuz hängt das weiße Tuch aus dem Grab. Die Sonne hinter dem Kreuz wird bald aufgehen. Es ist Ostern. Die Tür nach Ostern ist die Tür, die für uns offen steht, weil ein anderer den Schlüssel dazu für uns benutzt hat.

Deshalb würde ich gerne das siebte Werk der Barmherzigkeit etwas anders formulieren:
Begrabt die Toten und hofft auf ihre Auferstehung!

Angelika Kopp       Zurück(Archiv)